Das Leistungssportsystem

 

Das Leistungssportsystem

Die sportlichen Erfolge als Mittel der Demonstration der Überlegenheit des politischen Systems DDR sind maßgeblich für die Organisation des Sportsystems in der DDR ausschlaggebend.
Hier ging es nicht um die Förderung des Einzelnen, sondern die Nutzung des Einzelnen für das politische System, dem wurden alle anderen Maßnahmen zum Beispiel in der Forschung untergeordnet.

Die sogenannten Leistungssportbeschlüsse durch das Politbüro / ZK der SED gaben die Linie zum Ausbau und zur Förderung des Sports vor.

Aus dem Politbürobeschluss vom 26. Januar 1965 (Zitat):

„…. die Trainingsbelastung … bereits bei den Kindern und Jugendlichen zu erhöhen. In verschiedenen Sportarten muss bereits von den Kindern ein tägliches Training von 3 bis
5 Stunden gefordert werden …. für die Jugendlichen ist es notwendig 2 bis 3mal täglich zu trainieren.“

Diese Forderungen und Planungen mit den Sportlern erforderten dann in der Konsequenz eine schnelle Regeneration, um noch mehr trainieren zu können. [dazu im Kapitel Doping mehr]
Die Sportclubs standen an der Spitze des Leistungssportsystems. Eine Aufnahme konnte in der Regel nur durch Delegierung von einer KJS, BSG, HSG oder anderen SG erfolgen, wenn die Leistungsnormen erfüllt wurden.
Seit Anfang der 1960er Jahre nahmen die Sportclubs zunehmend Einfluss auf die Kinder- und Jugendsportschulen. Es gab den Kampf um die besten Sportkader und dabei spielte die SED mit den möglichen Einflussnahmen eine große Rolle.

 

Aus dem Bezirksparteiarchiv Suhl

Die Bezirksleitung der SED Suhl hat folgende Fragen in der Leitungssitzung vom 14.09.1967 mit dem DTSB und Sportclubs diskutiert (Zitat):

„Im Biathlon wurden fast alle Ziele nicht erfüllt bzw. nur teilweise erfüllt. Auch hier taucht wieder auf, dass der ASK die ihm gestellten Leistungsziele nicht erreichte ……hier geht es nicht mehr um das Ansehen des ASK „Vorwärts“……. sondern um das Ansehen der DDR im internationalen Maßstab. Das trifft auch auf den SC „Motor“ zu…..
Warum delegiert der ASK keine Nachwuchskader zur KJS? Die Antwort darauf ist, daß im ASK solche materiell günstigen Voraussetzungen vorhanden sind, daß Absolventen der KJS sowieso wieder zu ihm kommen. Die Delegierung durch den ASK an die KJS ist völlig ungenügend.“

Mit der „Einheitliche Sichtung und Auswahl für die Trainingszentren und Trainingsstützpunkte des DTSB“ (ESA) sollten ab 1973 gezielt die Kinder und Jugendlichen für die sportliche Förderung ausgewählt werden. Man wollte damit Konkurrenzen und auch die sogenannten Rückdelegierungen minimieren, die ja auch Kosten bedeuteten.

Dem sportlichen Sieg auf internationalem Parkett wurde alles andere untergeordnet. Neben dem Auswahlsystem waren solche Einrichtungen, wie das Technische Zentrum Geräte und Anlagen, Wissenschaftlich-technisches Zentrum Sportbauten, Forschungs- und Entwicklungsstelle für Sportgeräte, Zentrales Investitionsbüro für Sportbauten usw. von Bedeutung. Besonders für den Sportstättenbau wurden große Investitionen getätigt, die dann im Bereich des Breiten- und Freizeitsports fehlten, z. B. Unterdruckhalle wie in Kienbaum, Strömungskanäle, Schwimmstadien für Leistungssport usw. [dazu im Kapitel Doping mehr].

Technische Unterstützung am Beispiel des Schwimmsports

Um die Grundlagen für das Training in der Sportart Schwimmen zu erweitern gab es ab 1977 161 Hallenbäder für den Badebetrieb, 688 Schwimmstadien und Schwimmkampfanlagen für den Leistungssportbereich (Quelle: Messing/Voigt: Das gesellschaftliche System der DDR 1982, S. 895 und Statistisches Jahrbuch der DDR).

Somit war es möglich, den medaillenträchtigen Sport Schwimmen entsprechende Trainingsstätten auf Kosten des Breitensports zur Verfügung zu stellen.

 

Das sportliche Fördersystem in der Gesellschaft

Die Förderstufe 1 bildeten die Trainingszentren, zur Förderstufe 2 gehörte die KJS, die wiederum die Rekrutierungsbasis für die Sportclubs, Förderstufe 3, waren.

1986 trainierten 11.187 Athleten der Förderstufen 2 und 3 in den Sportclubs.
Die Sportler der Förderstufe 3 waren in den Trägerbetrieben formal angestellt, je nach Kaderstufe waren Freistellungen festgelegt.

Für die unterschiedlichen Kaderstufen gab es entsprechende Festlegungen, um den Kaderkreis zu fördern.

Die Zugehörigkeit zu den entsprechenden Kaderstufen der Förderstufe 3 hatte natürlich eine entsprechende Unterstützungswirkung:

Kaderstufe 3: zeitweise Freistellung von der Berufsausbildung, meist Reservesportler für Nationalmannschaften, Trainingspartner (z. B. Kampfsport), Mannschaftssportarten, die keiner Nationalmannschaft angehörten.

Kaderstufe 2: 16 Stunden wöchentliche Freistellung vom Trägerbetrieb (z. B. sehr gute Nachwuchssportler).

Kaderstufe 1: in der Regel Nationalmannschaftskader, volle Entlohnung bei vollständiger Freistellung vom Beruf.
Sonderstudienpläne, Studienverlängerung waren für die Athleten in den Sportclubs unter professionellen Bedingungen gegeben.

Ab 1983 gab es für die Sportler einen zusätzlichen Versicherungsschutz.
Bei einem Körperschaden größer 20 % wurden 10.000 Mark von der Versicherung gezahlt. Ein Körperschaden kleiner als 20 % fand keine Berücksichtigung bei Entschädigungsleistungen.

 

Der ausgeübte politische und persönliche Druck auf die Sportler

Wenn man Leistungssport betreiben wollte, musste man sich in der Regel dem System der Auswahl, der Betreuung und der politischen Einflussnahme aussetzen. Die zunehmende Ideologisierung „Diplomaten im Trainingsanzug“, der vereinbarte Leistungsauftrag und Kontrolle setzten die Sportler unter Druck.

Der gesellschaftliche Druck und persönliche Abhängigkeiten, unter anderem auch im Trainingsprozess, erschwerten insbesondere den minderjährigen Sportlern die Unterscheidung von Normalität und Übergriffigkeit im totalitären System.
Den Sportlern drohte bei Nichterfüllung der Leistungsvorgaben oder poltisch-ideologischer Abweichung die Rückdelegierung.
Das konnte auch die Trainer bei Erfolglosigkeit betreffen. Das waren auf jeden Fall auch Motive im Handeln der Verantwortlichen.

In den Unterlagen des sportmedizinischen Dienstes gibt es drei Zufallsfunde zum Thema Ausschluss aus der KJS durch Rückdelegierung, die den Druck auf die Jugendlichen
deutlich machen.

 

Beispiel:

Die Jugendlichen (jünger als 16 Jahre) hatten nach einer ärztlichen Untersuchung bzw. KLD (Komplexe Leistungsdiagnostik) im Jahr 1984 im Bereich Wintersport die Entfernung aus der KJS zu befürchten. Sie standen so unter Druck, dass sie in der Gruppe bzw. gegenüber dem Trainer im Fall einer Entfernung aus der KJS einen Selbstmord nicht ausgeschlossen haben. Entsprechende Gespräche mit Eltern, Trainer, Psychologen wurden in die Wege geleitet.

 

Die politisch-ideologische Kontrolle durch den Staat

Die politisch-ideologische Kontrolle wurde vom MfS organisiert und ausgeübt. Zum einen um mögliche Republikfluchten bei Wettkämpfen zu verhindern und zum anderen, um das Dopingsystem nicht bekannt zu machen.

Dazu wurden Inoffizielle Mitarbeiter zur Berichterstattung im sportlichen und persönlichen Umfeld der Sportler, Trainer und Funktionäre angeworben.

Anfangs betrug der Anteil der Zuträger des MfS in den Nationalmannschaften 10 %,

1974    14 %
1980    20 %
1984    25 %.

Es gab insgesamt ca. 3.000 Inoffizielle Mitarbeiter unter Sportlern, Trainern, Ärzten und Funktionären.

 

Abkürzungen

HSG    Hochschulsportgemeinschaft
BSG    Betriebssportgemeinschaft
KJS     Kinder– und Jugendsportschule
KLD     Komplexe Leistungsdiagnostik
MfS     Ministerium für Staatssicherheit
SG       Sportgemeinschaft
ESA     Einheitliche Sichtung und Auswahl für die Trainingszentren und Trainingsstützpunkte des DTSB