Doping in der Mannschaft

 

Doping in den Mannschaftssportarten, Gruppenexperimente

(Quellen: Landesarchiv Thüringen, Bundesarchiv; Militärarchiv Freiburg; BStU; SAPMO)

Der Beginn des koordinierten Teils staatlichen Dopings wurde ab 1974 im Staatsplan 14.25 Komplex 08 festgelegt. Die Entwicklung von Pharmaka für das Doping, die Beschaffung auch aus dem Ausland und Dopinggaben haben jedoch weit vor diesem Zeitpunkt stattgefunden. Wie man dabei vorging, soll hier beispielhaft beschrieben werden.

Die Auswertungen der Experimente im Sport erfolgte nach Wettkampf – und Olympiazyklen. Die Vorbereitung des Olympiazyklus 1968 - 1972 lief auf Hochtouren. In Vorbereitung auf die Olympischen Sommerspiele 1972 in München war es der SED-Parteispitze wichtig, in der Hoffnung auf eine besondere Selbstdarstellung des Sozialismus, sich auf bestimmte medaillenträchtige Sportarten zu konzentrieren.

Am 22. April 1969 wurde dann der präzisierte Präsidiumsbeschluss des DTSB verabschiedet, dem eine staatliche Bestätigung durch das Sekretariat des ZK der SED
am 8. April 1969 vorausgegangen war.

Die bestätigte Linie, die Neustrukturierung des Spitzensports, legte die vorrangige Förderung von Sportarten fest, in denen man kostengünstig und effektiv Olympische Medaillen gewinnen kann und somit auch die Überlegenheit des Sozialismus zu zeigen.

Zu fördern waren laut Beschluss die Sportarten:

Leichtathletik, Rudern, Boxen, Judo, Gewichtheben, Hallenhandball (Männer), Schwimmen, Kanurennsport, Ringen, Schießen, Wasserspringen, Fußball, Turnen, Segeln, Fechten, Radsport, Volleyball, Reiten (Dressur/Military)

und bei den Wintersportarten:

Eisschnelllauf, Eiskunstlauf, Biathlon, Skilanglauf, Schlittensport, Skisprung, Nordische Kombinationen.

Zur Nichtförderung von Wasserball lautete unter anderem die Begründung im Referat auf Tagung der 10. Bundesvorstandssitzung des DTSB (Zitat):

„Einer möglichen Medaille im Wasserball stehen 79 Medaillenmöglichkeiten im Schwimmsport gegenüber; in den Berliner Leistungszentren werden jedoch bis 18.00 Uhr nur 70% der Wasserfläche für das Schwimmtraining genutzt, während bisher etwa 30% dem Wasserball zur Verfügung gestellt werden.“

Auch in anderen Sportarten wurde die Förderung reduziert oder ganz eingestellt, dazu gehörten auch Olympische Sportarten wie Basketball, Eishockey, Hockey, Moderner Fünfkampf und Alpiner Skisport.

Die förderungswürdigen Sportarten (hier Mannschaftssportarten) wurden in das sportmedizinische Forschungsprogramm eingeordnet und den Sportärztlichen Hauptberatungsstellen zugeordnet, die sich schwerpunktmäßig damit befassten.

In einem Bericht vom 3. Oktober 1974 wurden u. a. die Sportarten zum Forschungsprogramm auf dem Gebiet der Sportmedizin folgenden Sportärztlichen Hauptberatungsstellen zugeordnet (Auszug):

„SHB Jena               Fußball

SHB Magdeburg      Handball

SHB Rostock           Handball

FKS Leipzig             Volleyball“

 

Zur Leistungsabrechnung 1976/80 der Fachgruppe „Zusätzliche Leistungsreserven“ fand im Juni 1980 ein Kolloquium am FKS Leipzig statt. Hier wurde zum Einsatz der Substanzen STS 646, STS 648 und STS 482 bei einigen ausgewählten Olympiakadern, Nationalmannschaftskadern sowie Experimentalgruppen berichtet und die Ergebnisse ausgewertet.

Betrachtet wurde der Berichtszeitraum 1976 bis 1980 für den Einsatz der Substanzen
STS 482, STS 646 und STS 648. Für diese Substanzen gab es keine Zulassung als Arzneimittel und keine Beantragung einer klinischen Studie.

In einem Bericht zur Erfüllung des Forschungsplanes 1980 – 1982 in der Forschungsgruppe „Zusätzliche Leistungsreserven“ am FKS in Leipzig im Dezember 1980 wurden die Schwerpunkte der Arbeit fixiert:

-        Erhöhung der Wirksamkeit bekannter u. M. im Training und Wettkampf;

-        Überprüfung weiterer u. M. auf ihre Anwendbarkeit im sportlichen Training und Wettkampf;

-        weitere Vervollkommnung des praktischen Prozesses der Anwendung der u. M. durch wissenschaftlich-operative Leistungen.“

 

Weiter heißt es:

„In den Zweikampf- und Spielsportarten wurden von uns keine gesonderten Untersuchungen durchgeführt. Aus den gewonnenen Erkenntnissen in den Ausdauer-, Schnell- und technischen Sportarten lassen sich jedoch begründete Ableitungen zum Einsatz von u. M. in den Kampf- und Spielsportarten ziehen.“

 

In den Mannschaftssportarten bediente man sich also der „üblichen Substanzen“ und setzte diese beim Doping in den Mannschaftssportarten entsprechend ein.

Fundstücke Mannschaftssportarten

Volleyball

Anwendung der Substanz STS 646 (im Staatsplanthema 14.25.20516, Erzeugnis Entwicklung als anaboles Steroid, auch Mestanolon oder M 2 bezeichnet).

Die Substanzvergabe erfolgte im Olympiazyklus 1976 - 1980 an die Nationalmannschaft Damen Volleyball.

Zielstellung war die Erhöhung der Belastbarkeit im Training und der Test als Alternative zur Testosteron Gabe, ohne dass es eine größere Veränderung der Körpermasse und Viralisierungserscheinungen nach sich zog.

Die mündliche Auswertung durch Dr. Gabler war für den 07.03.1980 in Leipzig geplant.

Handball

Im Handball wurde im Olympiazyklus 1976 – 1980 ebenso das STS 482, STS 648 und
STS 646 an 37 Sportlern (acht männliche Athleten, 29 weibliche Athleten) erprobt.

Abgeschlossen war die experimentelle Anwendung der Substanz STS 646 (im Staatsplanthema 14.25.20516, Erzeugnis Entwicklung als anaboles Steroid, auch Mestanolon oder M 2) an Olympiakadern.

Die Gabe von STS 646 erfolgte in Vorbereitung auf die Olympischen Spiele 1980 an den Olympiakader Damen, 20 Personen.

Zielstellung war die Erhöhung der Belastbarkeit im Training und der Test als Alternative zur Testosteron Gabe, ohne dass es eine größere Veränderung der Körpermasse und Viralisierungserscheinungen nach sich zog.

Die Auswertung erfolgte durch die Ärztin U. Miedlich (FKS Leipzig):

„Bericht über die Wirkung des Einsatzes von STS 646 bei der Handballnationalmannschaft Frauen“ (Zitat):

20 Nationalkader erhielten über einen Zeitraum von 4 Wochen in der speziellen Vorbereitungsperiode I (31.03.80 – 27.4.80) STS 646 in folgender Dosierung

1. Woche               5 mg/d

2. Woche               5 und 10 mg/d im Wechsel

3. und 4. Woche    10 mg/d

Die erste Einnahmewoche betraf die Heimtrainingsperiode, während der drei weiteren Wochen wurde im zentralen Lehrgang trainiert.“

Frau U. Miedlich schrieb zu diesem Zeitpunkt ihre Dissertation (Promotion A) an der Militärmedizinischen Akademie Bad Saarow zum Thema „Ergebnisse einer klinischen Vorprüfung zur Wirkung von Steroidsubstanzen auf ausgewählte Organfunktionen und auf die physische Leistungsfähigkeit“.

Handball WM 1986 der Männer– man wusste sich zu helfen

In Vorbereitung der Handball WM 1986 wurde die Mannschaft ab 17.02.1986 in Kienbaum im Trainingslager zusammengezogen. In Vorbereitung sind zwei Länderspiele gegen Schweden geplant. Nun gab es Diskussionen unter den Aktiven. In Vorbereitung der WM nahm man bereits u. M. zu sich, welches auch schon verabreicht worden war. Während des Länderspiels würde die Dopingeinnahme sichtbar werden.

Zitat :“ Aus diesem Grund wurden von den Spielern Urinproben vor Einnahme des UM genommen. Diese Urinproben wurden konserviert und sollen zum Wettkampf nach Schweden (am 06/07.02.86) mitgenommen werden, damit keine Nachweisführung der Einnahme von UM möglich ist. Hinsichtlich der Entscheidung mit UM während des Wettkampfes in Schweden zu spielen, wurde nach Kenntnis der Quelle durch den Vizepräsidenten des DTSB Köhler entschieden, die konservierten Urinproben mitzunehmen (welche zur Abgabe bestimmt sind) und die Einnahme der UM weiter durchzuführen….. Nach Auskunft der Sportmediziner, welche den Vorschlag unterstützt haben wird es hinsichtlich einer Dopingkontrolle keine Problem in Schweden geben. Die Aktiven selbst hatten keinen Einfluß auf diese Entscheidung.“

Eishockey (Zeitzeuge Peter Slapke)

(https://www.merkur.de/sport/eishockey/eishockey-in-ddr-mehr-als-berlin-gegen-weisswasser-13188604.html)

„Unsere westliche Vorstellung vom DDR-Eishockey war: Es gab nur zwei Teams, Weißwasser und Dynamo Berlin, und die spielten die ganze Saison gegeneinander. Bis 1970 existierten acht Mannschaften, dazu gehörten Rostock, Karl-Marx-Stadt, TSC Berlin, Crimmitschau, Erfurt, und Dresden. Mit dem Leistungssportbeschluss war es dann damit vorbei, Dynamo Berlin und Weißwasser überlebten. Dynamo unterstand dem Ministerium für Staatssicherheit, Weißwasser gehörte zur Polizei – wir beide haben das volle Programm bekommen. Wir haben Turinabol geschluckt. Vor Auslandsreisen wurden wir getestet. Es ist keiner aus der DDR rausgefahren, wenn die Werte nicht gestimmt haben. Dann warst du halt verletzt. Man konnte uns nicht erwischen. Jeder wusste, es ist Doping, aber es war unter Betreuung. Gezwungen worden ist man dazu nur insofern, als du bei einer Weigerung ausgeschlossen wurdest vom Sportclub. Und kein Olympia oder WM bestreiten konntest. Viele im DDR-Sport haben die Schnauze gehalten und geschluckt. Für eine Goldmedaille gab es 15 000 Mark, eine Reise auf dem Schiff oder Urlaub in Mexiko. Was die Stasi betrifft: Auch ich bin gefragt worden, ob ich IM machen würde, ich habe es abgelehnt. Aber wir wurden abgehört. Meine Frau hat im Telefon eine Wanze gefunden. Leider hat sie sie weggeschmissen, so gab es keinen Beweis. Ich habe 1980 nicht aufgehört, ich musste aufhören. Der bisherige Trainer wurde Clubchef, der älteste, der ein Diplom hatte, musste Trainer der ersten Mannschaft werden. Ich war unerfahren, habe viele Fehler gemacht, nach eineinhalb Jahren habe ich dann die Junioren übernommen. Als Nachwuchstrainer habe ich oft Linesman gemacht oder gepfiffen – wir hatten sonst keine Leute.“

 

Fazit am Ende der DDR – Zeit (Zitat ca. 1989):

Das durch das FKS entwickelte Präparat STS 646, welches trotz jahrelanger Anwendung noch keiner Arzeneimittelprüfung unterzogen wurde, wird jährlich direkt durch Prof. Hecker [sic!, eigentlich Häcker] vom FKS Leipzig beim VEB Jenapharm in Auftrag gegeben…… im Gegensatz zu 1987, wo ca. 3000 Leistungssportler mit uM versorgt wurden, es 1989 lediglich noch ca. 600 Leistungssportler waren. Zum derzeitigen Zeitpunkt werden lediglich noch 10 Gewichtheber programmgemäß mit uM versorgt.“

Abkürzungen

DTSB              Deutscher Turn – und Sportbund

FKS                 Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport (Leipzig)

LSK                 Leistungssportkommission

SHB                Sportärztliche Hauptberatungsstelle

SMD                Sportmedizinischer Dienst

UM                  Unterstützende Mittel

STS                 Steroidsubstanz