Öffentlicher Brief an Herrn Prof. Dr. Werner W. Franke (link zur Faz.net)
Lieber Werner Franke,
„Doping – Von der Forschung zum Betrug“ hieß das von Ihrer Ehefrau Brigitte Berendonk als Autorin unter Ihrer Mitwirkung herausgegebene Buch: ein Paukenschlag – jedenfalls in der deutschen Sportlandschaft. Alle waren im Nach-Wende-Olympiarausch. Die Sommerspiele 1992 standen vor der Tür. Nicht nur die Sportfunktionäre, sondern auch das breite Publikum war im Goldrausch des wiedervereinigten deutschen Sportes. Der erfolgreiche DDR-Sport, und wie alle es jedenfalls heute wissen, das durchaus kriminelle DDR-Doping-Zwangssystem, waren dem deutschen Sport beigetreten. Die Erwartungen gingen auf. Die deutsche Mannschaft gewann in Barcelona 33 Gold-, 21 Silber- und 28 Bronzemedaillen. Deutschland belegte den dritten Platz im Medaillenspiegel.
Es ist ein Verdienst Ihres Einsatzes, dass wir heute – nicht nur in Deutschland – Anti-Doping wichtig nehmen und jedenfalls in den öffentlichen Statements nur der doping-freie, sprich saubere Sport hochgehalten wird. Es war gut, dass Sie als „Kämpfer mit der westfälischen Stirn“ unbeirrbar waren. Zu Recht haben Sie zusammen mit Ihrer Ehefrau, Brigitte Berendonk, 2004 das Bundesverdienstkreuz als Auszeichnung für den Kampf „gegen die menschenverachtenden und kriminellen Methoden des Dopings“ erhalten.
Im Kampf gegen Lug und Trug – sprich Dopingbetrug – haben wir unzählige Prozesse gemeinsam und äußerst erfolgreich geführt. Sie sind vor keiner Anfeindung zurückwichen.
Wir beide haben in den Anfängen unserer Zusammenarbeit nicht aus einer Opferperspektive gehandelt. Die Angriffe gegen das Buch und die Enthüllungen über den staatlichen Sportbetrug sind hart geführt worden. Wir haben in unseren Statements und Verteidigungsschriften weder die Ärzte und Funktionäre noch die Athleten geschont, denen wir zumeist undifferenziert den Betrüger-Stempel aufgedrückt haben. Die zahlreichen strafrechtlichen Verurteilungen der Prozessgegner wegen deren Prozesslügen hatten uns in unserer damaligen Wahrnehmung nur bestätigt.
Die Berliner Strafprozesse gegen die politisch Verantwortlichen des DDR-Zwangs-Dopingsystems und insbesondere der intensive Kontakt mit den betroffenen Sportlerinnen und Sportlern dort veranlassten uns zum Umdenken. Nicht nur die gedopten Minderjährigen und die Kindersportler waren mit ihren erheblichen Gesundheitsschädigungen tatsächlich Opfer und eben nicht Täter. Wer von den erwachsenen Sportlerinnen und Sportlern hätte sich denn realistisch betrachtet dem Doping-Zwang entziehen können? Sie waren zu Recht zufrieden, dass schlussendlich auch der Bundesgerichtshof das DDR-Zwangs-Dopingsystem als kriminell und die im Hinblick auf die gesundheitlichen Folgen ihres Dopings auch im erwachsenen Alter unaufgeklärt gewesenen Sportler als schwer körperverletzt eingeordnet hat.
Die Wahrnehmung der gedopten Athleten als Opfer und nicht als Täter war die Geburtsstunde unserer gemeinsamen Idee der Doping-Opferhilfe. Es ist jetzt 20 Jahre her, dass wir mit anderen Mitstreiter unseren Doping-Opfer-Hilfeverein gegründet haben.
Ich habe mir ungläubig die Augen gerieben und innerlich laut ausgerufen: Was geht denn hier ab? Ist der Werner Franke, dem die Opfer des DDR-Dopingzwangssystems so am Herzen lagen und für die er keine Mühe gescheut hat, wirklich aktiver Mitautor des Schreibens an die Mitglieder des Sportausschusses des Deutschen Bundestages und Mitautor des 62-seitigen Papiers „Blackbox DOH“? Schon die mehrfach Grenzen überschreitende Wortwahl der Papiere ließ jeden Zweifel an einer sogar ganz wesentlichen Autorenschaft fallen. Was hat Sie dazu getrieben, den Doping-Opfern so drastisch und gnadenlos Ihre Loyalität aufzukündigen? Erwachsene Doping-Opfer sind jetzt für Sie kriminelle Täter, gleichwohl mit Verlassen der Minderjährigkeit es keinen realen, schon gar nicht einfachen Weg aus dem staatlichen Zwangs-Doping gegeben hat. Ist für Sie jetzt plötzlich die als Minderjährige bereits gedopte und als Volljährige weiter dopende Leichathletin mit ihrem 18. Geburtstag von der Opfer- in die Betrüger-Kategorie gerutscht? Meinen Sie es wirklich mit Ihrer Behauptung ernst, die im Doping-Zwangssystem der DDR erwachsen gewordenen Sportlerinnen und Sportler hätten, nur weil sie volljährig geworden sind, heldenhaft aus dem Sport aussteigen können und müssen? Nein, so leicht war das im Doping-Zwangssystem der DDR eben gerade nicht. Alle Sportler des Doping-Zwangssystems der DDR waren Opfer eines staatlichen Zugriffs in einem diktatorischen System. Gerade diese Erkenntnis und die Willkür des Staates DDR waren Grundlage der strafrechtlichen Verfolgung der Verantwortlichen in den Berliner Dopingstrafprozessen.
Die Angeklagten in den Strafprozessen haben sich gegen die strafrechtlichen Vorwürfe zumeist mit der Ausrede verteidigt, dass die Sportlerinnen und Sportler im Doping-Betrugssystem freiwillig mitgemacht und ihren eigenen persönlichen Erfolg mit der wissenden Akzeptanz der „unterstützenden Mittel“ zielgerichtet angestrebt haben. Dagegen sind wir beide argumentativ unter Hinweis auf die erstens fehlende Aufklärung der Sportlerinnen und Sportler über mögliche Nebenwirkungen der verabreichten Mittel und zweitens mit dem Hinweis auf den kaum auszuweichenden Zwang des staatlichen DDR-Sportsystems entgegengetreten. Wir beide haben alle betroffenen Sportler, erwachsen oder nicht, gegen solche Angriffe der Täter immer und entschieden verteidigt. Dass Sie, lieber Werner Franke, sich genau die von höchstrichterlicher deutscher Rechtsprechung verworfene Verteidigungsstrategie der Täter jetzt zu eigen machen, mag verstehen wer will. Ich nicht.
Ich weiß, lieber Herr Werner Franke, dass für Sie die Freiheit der Wissenschaft und die Forschungsfreiheit des Wissenschaftlers grenzenlos sind. Diese Freiheit war für Sie oft Rechtfertigung eigenen, durchaus und nicht ganz zu Unrecht kritisch bewerteten Handelns, gerade auch bei Ihrem Engagement gegen Doping und für die Doping-Opfer. Diese Freiheit der Forschung steht zweifelsohne auch anderen Wissenschaftlern zu. Der Doping-Opferhilfeverein und die Doping-Opfer sind froh, dass sich die Wissenschaft des Themas der Erforschung möglicher Schädigungen durch Doping annimmt. Wir sind deshalb sehr zufrieden, dass an den Helios-Kliniken in Schwerin eine Langzeitstudie zu Schädigungen der Opfergruppe der 2. Generation durchgeführt wird. Es ist keine Frage, dass solcher Forschungseinsatz unsere ernsthafte Beachtung und unsere uneingeschränkte Anerkennung verdient hat.
Die Doping-Opfer sind Ihnen, lieber Werner Franke, zu erheblichem Dank und Anerkennung verpflichtet. Zerstören Sie Ihr Bild des aufrechten, den Doping-Opfern immer in Loyalität verbundenen Anti-Doping-Kämpfers nicht selbst.
Ich habe den vakant gewordenen Vorsitz des Dopingopfer-Hilfevereins in Kontinuität unser beider Einsatz für die Doping-Opfer übernommen. Lieber Werner Franke, helfen Sie wieder mit.
Ihr Michael Lehner, Heidelberg im Januar 2019
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